Das von Wolfgang Köhler und Max Wertheimer entwickelte Lernen durch
Problemlösung besagt, dass
man lernt, indem man ein Problem löst.
Ein Problem benötigt einen SOLL- und einen IST-Zustand: Ich weiß, wo ich hin
will (Ziel=SOLL) und weiß, wo ich stehe (IST). Auf dem Weg zwischen IST und SOLL
gibt ein Hindernis: Das Problem.
Probleme können gelöst werden, indem Menschen eine Problemlösung
vornehmen.
So können beispielsweise scheinbar
zusammenhangslose Elemente einer Situation plötzlich einen Sinn ergeben, wenn sie
in eine neue, sinnvolle Beziehung zueinander gebracht werden.
Lernen durch Einsicht stellt sich im Gegensatz zum Lernen durch Versuch und
Irrtum (nach Thorndike) plötzlich ein: Der Lernende testet nicht,
welches Verhalten den gewünschten Erfolg bringt: Die Lösung stellt sich
scheinbar durch
Nachdenken ein.
Wurde einmal eine Lösung entdeckt, so kann der
Lernende sie nach Belieben wieder anwenden. In Thorndikes Versuchen waren
mehrere Durchgänge nötig, damit die Lösung eines Problems sofort wieder
angewendet werden konnte.
Köhlers Theorie beruht auf seinen Untersuchungen mit Menschenaffen (Schimpansen und Orang-Utans), die er auf Teneriffa vornahm:
1. Problem: Ziel nicht erreichbar | ||
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2. Umstrukturierung der Wahrnehmung und ... | ||
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3. ... Einsicht ('Aha-Erlebnis') | ||
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4. Lernerfolg | ||
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"[...] das Ziel ist hoch angebracht, die beiden Kisten stehen nicht weit
voneinander entfernt und etwa 4 m von dem Ziel entfernt; alle anderen
Hilfsmittel sind beseitigt. Sultan schleppt die größere der Kisten zum Ziel,
setzt sie flach darunter, stellt sich, hinaufsehend, auf sie, macht Anstalten
zum Sprung, springt aber nicht wirklich; steigt herab, ergreift die andere Kiste
und galoppiert, sie hinter sich herziehend, im Raum umher, wobei er den
üblichen Lärm macht, gegen die Wände trampelt und sein Unbehagen auf jede
mögliche Weise zu erkennen gibt. [...] Mit einem Male aber ändert sich sein
Verhalten vollständig; er läßt den Lärm, zieht seine Kiste von weit her
geradeswegs an die andere heran und stellt sie sofort steil auf diese; dann
steigt er auf den etwas schwankenden Bau, [...]" Köhler
(1963, S. 97) das Ziel hängt jedoch immer noch zu hoch.
"Das Ziel hängt noch höher; Sultan hat vormittags gehungert und geht
deshalb mit großem Eifer an die Arbeit. Die schwere Kiste legt er flach unter
das Ziel, setzt die zweite steil darauf und versucht obenstehend das Ziel zu
ergreifen; als er nicht ankommt, blickt er hinunter und in der Umgebung umher,
haftet mit den Augen an der dritten Kiste, die ihm wohl zuerst wegen ihrer
Kleinheit als wertlos erschienen ist, steigt mit großer Vorsicht herab,
ergreift die Kiste, klettert mit ihr hinauf und vollendet den Bau." Köhler
(1963, S. 98)
Video-Sequenzen zu dem
Versuch; externe Quelle: Fernuniversität Hagen
Kisten Einzelversuch
Kisten Gruppenversuch
Doppelstockversuch
Bildquelle: Köhler (1963, S. 96) |
Bildquelle: Köhler (1963, S. 98) |
Lernen entsteht nicht durch zielloses Herumprobieren, sondern
über eine Umstrukturierung des Wahrnehmungsfeldes einer Problemsituation.
Diese Umstrukturierung kann als Einsicht bezeichnet werden, die durch Nachdenken
entsteht.
Veränderung
von Verhalten durch Einsicht.
Nebenstehende Grafik verdeutlich Köhlers Theorie: Beim bloßen
Ausprobieren (Lernen durch Versuch und Irrtum) würde ein Tier/Mensch
versuchen auf schnellstem Wege zum Ziel zu gelangen. Erst die veränderte
Wahrnehmungsperspektive führt zur Einsicht:
Der schnellste und scheinbar einfachste Weg wäre 'durch' das Fenster, da das jedoch nicht funktioniert, überdenkt man die Situation und gelangt zu der Einsicht, dass man einen anderen Weg gehen kann, um das Ziel zu erreichen. |
Bildquelle: Köhler (1963, S. 15) |
Köhlers zweiter bekannter Versuch beschreibt folgende Situation:
Eine Banane wird vor dem Käfig positioniert, soweit entfernt, dass die Affen
sie nicht erreichen können. Im Käfig befinden sich mehrere Rohre. Auch mit
einem Rohr wäre die Banane nicht zu erreichen.
"Bericht des Wärters: "Sultan hockt zuerst gleichgültig auf der Kiste, die etwas rückwärts vom Gitter stehengeblieben ist; dann erhebt er sich, nimmt die beiden Rohre auf, setzt sich wieder auf die Kiste und spielt mit den Rohren achtlos herum. Dabei kommt es zufällig dazu, daß er vor sich in jeder Hand ein Rohr hält, und zwar so, daß sie in einer Linie liegen; er steckt das dünnere ein wenig in die Öffnung des dickeren, springt auch schon auf ans Gitter, dem er bisher halb den Rücken zukehrte, und beginnt eine Banane mit dem Doppelrohr heranzuziehen. Ich rufe den Herrn; inzwischen fällt dem Tier das eine Rohr vom anderen ab, da es sie sehr wenig ineinandergeschoben hat, und sogleich setzt es sie wieder zusammen." Köhler (1963, S. 91) [Fußnote dazu: 'Die Erzählung des Wärters kommt mir recht glaubwürdig vor, zumal da er auf Fragen betonte, daß Sultan die Rohre zunächst spielend und ohne Rücksicht auf das Ziel (die Aufgabe) ineinandergeschoben habe. Die Tiere bohren ja fortwährend mit Halmen und Stöckchen spielerisch in Löchern und Fugen, so daß man sich geradezu wundern müßte, wenn Sultan nicht auch beim Herummachen mit den beiden Rohren diese gewohnte Spielerei einmal ausgeführt hatte. - Ein Verdacht, der Wärter könnte in aller Eile "das Tier dressieret haben", besteht durchaus nicht; dergleichen wird der Mann nie wagen. Will jemand hieran zweifeln, so tut das nicht zur Sache; denn Sultan beweist fortwährend, daß er das Verfahren nicht nur ausführt, sondern einsichtig beherrscht.'] Köhler (1963, S. 91 f) |
Bildquelle: Köhler (1963, S. 92) |
"Einsichtiges Verhalten beginnt damit, daß der Stock in die Situation einbezogen wird. Das geschieht zunächst allerdings oft auf unzulängliche Weise, indem etwa der Stock nach der Banane geworfen und damit selbst unzugänglich wird." Hilgard & Bower (1973, 261)
"Das Verfahren scheint ihm [Sultan] außerordentlich zu gefallen; er
macht einen sehr lebhaften Eindruck, zieht alle Früchte nacheinander ans
Gitter, ohne sich zum Fressen Zeit zu nehmen, und holt, als ich dann den
Doppelstock noch einmal auseinandernehme, mit den schnell wieder
zusammengefügten Rohren ganz gleichgültige Gegenstände aus der Ferne an das
Gitter heran.
Am folgenden Tage wird der Versuch wiederholt; Sultan beginnt mit dem praktisch
nutzlosen Verfahren, nachdem er aber während weniger Augenblicke das eine Rohr
mit Hilfe des anderen vorwärts gesteuert hat, nimmt er wieder beide auf, steckt
schnell eins ins andere und erreicht das Ziel mit dem Doppelstock." Köhler
(1963, S. 92)
Es handelt sich
dann um Lernen durch Einsicht, wenn in einer Problemsituation die Lösung nicht
durch Ausprobieren der Möglichkeiten (
Lernen durch Versuch-und-Irrtum), sondern durch einen Gedankenblitz, eine
spontane Einsicht erreicht wird.
Denkanstoß / Praxisbeispiel: ![]() Plötzlich kommt Ihnen der Gedankenblitz: Ein Stück Nylonfaden, den Sie zufällig bei sich tragen, löst Ihr Problem. |
Zitate zum Lernen durch Einsicht nach
Köhler: "Köhler war davon überzeugt, daß den Schimpansen die Bewältigung der Problemsituation durch Denken gelungen war." Mietzel (1998 b, 202) "Als ich damals diesen Ausdruck (Einsicht) in einer Beschreibung des intelligenten Verhaltens von Menschenaffen verwendete, ist anscheinend ein unliebsames Mißverständnis nicht ganz verhindert worden. Wir fanden einige Male, daß die Tiere zu Leistungen befähig waren, die wir unterhalb des menschlichen Niveaus nicht erwartet hatten. Wir stellten darauf hin die Behauptung auf, daß an solchen Leistungen ganz offensichtlich Einsicht beteiligt sein muß. Anscheinend haben einige Leser diese Formulierung so interpretiert, als bezöge sie auf eine geheimnisvolle Kraft oder auf ein Vermögen, dem wir das Verhalten des Affen zuschrieben. Als ich jedoch meinen Bericht niederschrieb, beabsichtigte ich damit nicht, einen solchen Eindruck zu erwecken ... [...] (Köhler 1947, Seite 341-342)." Hilgard & Bower (1973, 278) "Wenn Tiere, bei denen praktisches Verhalten gegenüber einer bestimmten Situation entstanden ist, in einer nur ähnlichen Lage das gleiche Verfahren vorbringen, so wird, häufig wohl mit Recht, die Annahme gemacht, daß in der unklaren Wahrnehmung des Tieres die neue Situation von der alten überhaupt nicht verschieden und also das gleiche Verhalten in beiden ohne weiteres verständlich sei." Köhler (1963, S. 26) "Einsicht bezeichnet das Erkennen einer sinnvollen Beziehung zwischen den einzelnen Elementen einer Problemsituation und damit das Erfassen einer Ganzheit." Hobmair (1996, 171 f) "Von einer Aufgabe spricht man, wenn die Prozeduren bekannt
sind, mit denen man vom Ist- zum Sollzustand kommt. Sie ergeben sich aus
der Ähnlichkeit der Aufgaben und aus dem Lernkontext [...]. Von einem
Problem spricht man, wenn es auf dem Weg zum Ziel Barrieren gibt,
die man zunächst nicht zu überwinden weiß. |
Merkmale
des Lernens durch Einsicht
Der Lösung
ergibt sich aus der Umordnung des Wahrnehmungsfeldes (vorhandene Hilfsmittel
werden anscheinend variiert). Der Lernerfolg setzt plötzlich ein. Das erlernte
Verhalten, welches zur Befriedigung diente, kann sofort wiederholt werden.
Um auf diesem Weg unerwünschtes Verhalten zu verlernen, ist es zunächst notwendig, das vorhandene Wissen festzustellen: Oftmals ist Detailwissen vorhanden, es wird jedoch fehlerhaft interpretiert oder zusammengesetzt. Andere Erklärungsmuster bzw. Kontexte sollen das Wissen neu kombinieren.