Lernen am Modell nach Bandura

Bandura

Modelllernen als Skript zum Ausdrucken

Albert Bandura entwickelte das Modelllernen (auch Lernen am Modell, Nachahmungslernen, Beobachtungslernen, Imitationslernen, Soziale Lerntheorie, Soziales Lernen, Sozial-Kognitive Lerntheorie). 

Die Wurzeln seiner Theorie lagen im Behaviorismus, dann folgte eine zunehmende Entfernung hin zu den kognitivistischen Lerntheorien: Menschen lernen nicht nur anhand von Verhaltenskonsequenzen, sondern auch durch Beobachtung. Somit können Erfahrungen und Wissen (z.B. Fertigkeiten) anderer an andere weitergegeben werden. Im Gegensatz zur klassischen und operanten Konditionierung kann durch das Lernen am Modell völlig neues Wissen/Verhalten erlernt werden. Das Lernen ist nicht mehr von vorhandenen Reiz-Reaktions-Verbindungen abhängig, die zumindest ansatzweise bereits vorhanden sein müssen. Da das Modell keinen direkten Reiz darstellt, würde nach anderen behavioristischen Theorien kein Lernen stattfinden. 

"Vollkommen neue Verhaltensweisen/Einstellungen lernen wir dadurch, daß wir die Verhaltensweisen/Einstellungen anderer wahrnehmen, beobachten und nachahmen. Darüber hinaus hat das Beobachtungs- oder Modellernen den Vorteil, daß komplexe Verhaltensbereiche (Sprache, Autofahren, berufliche Tätigkeiten usw.), die sich aus einer Vielzahl von Verhaltensweisen zusammensetzen, leichter und schneller erworben werden können, als wenn sie einzeln verstärkt werden müßten." Schmitt (1999, 15)

"Both operant conditioning and social learning theories assume that performance of acquired matching behavior is strongly controlled by its consequences. But in social learning theory, behavior is regulated not only by directly experienced consequences arising from external sources, but also by vicarious reinforcement and self-reinforcement [...]." Bandura (1971, S. 46)
"The term vicarious reinforcement is applied to changes in the behavior of observers that result from witnessing a model's action being rewarded or punished." Bandura (1971, S. 47)

Vereinfacht kann das Modelllernen durch die nachfolgenden zwei Phasen bzw. den darin verankerten Prozessen dargestellt werden:

1. Aneignungsphase: Aufmerksamkeitsprozesse
Der Beobachter konzentriert seine Aufmerksamkeit auf das Modell und beobachtet es. Er schaut genau hin und nimmt das Modell bewusst wahr. Der Beobachter wählt dabei Verhaltensweisen aus, die ihn besonders interessieren.
2. Aneignungsphase: Behaltensprozesse
Ein beobachtetes Modellverhalten kann manchmal erst längere Zeit nach dem Beobachten gezeigt werden. Dazu ist das beobachtete Verhalten im Gedächtnis gespeichert worden.
3. Ausführungsphase: Reproduktionsprozesse
Das beobachtete Verhalten wird nachgeahmt, indem der Beobachter sich an das gespeicherte Verhalten erinnert. Dieses Verhalten wird nachgeahmt, indem die Bewegungsabläufe wiederholt werden.
4. Ausführungsphase: Verstärkungs- und Motivationsprozesse
Der Beobachter wird verstärkt, weil er den Erfolg seines eigenen Verhaltens sieht. Schon wenn der Beobachter erste Fortschritte sieht, wird sich diese Feststellung des erfolgreichen Verhaltens verstärkend auswirken.

 

 Modellernen

Bildquelle: Angermeier, Bednorz & Schuster (1991, 141)

Ein Modell wird nachgeahmt (bewusst und unbewusst), da das Verhalten bzw. die Fähigkeit des Modells (das Modellverhalten) zu einer positiven Konsequenz geführt hat.

Eine Person (Modell) wird beobachtet. Erscheint das Modellverhalten als sinnvoll und ist es dem Nachahmenden (Lernenden) möglich, dieses Verhalten zu imitieren, so wird das Verhalten nachgeahmt (imitiert).

Durch das Modelllernen kann sich der Lernende Erfahrungen eines Modells zunutze machen. 
"[...] er bringt diese in einen sinnvollen Zusammenhang und imitiert, was sozial gesehen vorteilhaft ist. Diese sinnvollen Zusammenhänge werden über vermittelnde Prozesse, über Denkprozesse hergestellt." Angermeier (1978, 26)

"Damit Beobachtungslernen stattfindet, muß der Beobachtende das Modell aufmerksam beobachten, das beobachtete Verhalten behalten können, sowie fähig und motiviert sein, es auszuführen." Langfeldt (1996, 107) 
"Der Beobachter muß das Modellverhalten sehr genau beobachten und es lernen im Sinne von behalten." Linden & Hautzinger (1996, 234)

 

Bildquelle: Bandura (1971, S. 24)

"In social learning theory observers function as active agents who transform, classify, and organize modeling stimuli into easily remembered schemes rather than as quiescent cameras or tape recorders that simply store isomorphic representations of modeled events." Bandura (1971, S. 21)


Oftmals ist dem Modell und/oder dem 'Nachahmer' (dem Lernenden) seine Position nicht bewusst: Modelllernen beinhaltet demnach:
(a) das mitdenkende (bewusste) Nachahmen ('zuerst hat der diese Abdeckung geöffnet und erst dann die Schraube gelöst - also mache ich es genauso!')  und
(b) das unbewusste Nachahmen (Nachahmen, ohne explizit darüber nachzudenken z.B. einem Zug nachwinken, weil die neben einem stehende Person dies tut).

"Beim Prozeß des Modellernens versucht das Individuum, bei anderen wahrgenommenes Verhalten bewußt oder unbewußt zu übernehmen. [...] Der "sozialen Lerntheorie" zufolge (Bandura 1977) kann ein neues Verhalten durch "Sehen" übernommen werden." Mönks & Knoers (1996, 95)

"Ein Großteil der Welt hat gemeinsame Modelle, an denen sich das Verhalten der Menschen orientiert (Politiker, Sportler und Filmschauspieler - wenn auch vielleicht nicht ganz in dieser Reihenfolge). Dies bedeutet auch, dass unsere Modelle zum Teil "anonymer" geworden sind, sie sind nicht so persönlich wie die Eltern, der Lehrer, Pfarrer, Förster und die Nachbarn der früheren Jahre dieses Jahrhunderts." Angermeier (1978, 23)


Verstärkungslernen (operante Konditionierung) und Lernen am Modell scheinen einige Parallelen zu haben: Auch beim Modelllernen soll eine Verhaltensweise Verstärkung erfahren (z.B. durch das Erreichen eines Ziels). Dennoch handelt es sich beim Modelllernen um eine kognitive Lerntheorie, weil explizit innere Prozesse als Grundlage des Lernens angenommen werden. Vgl. Langfeldt (1996, 107)

"Diese Auffassung ist dadurch gekennzeichnet, daß zwischen der Anregung des Verhaltens durch ein Modell und der Ausführung des Verhaltens durch den Beobachter kognitive Prozesse angenommen werden." Asanger & Wenninger (1999, 396) 


Je größer die Differenz zwischen eigenem Können und der beobachteten Fähigkeit ist, desto geringer ist die Möglichkeit, das beobachtete Verhalten nachahmen zu können
Beispiel:
K. führt seiner kleinen Schwester vor, wie man Fahrrad fährt. Als sie es selbst versucht, fällt sie hin. (Die Differenz zwischen eigenem und beobachteten Verhalten ist zu groß: Es ist nicht möglich, diese komplizierte Fähigkeit auf einmal zu erwerben).

Je häufiger wir ein Modell beobachten können, desto einfacher und besser werden wir das Verhalten im Bedarfsfall reproduzieren können. 
Beispiel: 
K. führt seiner kleinen Schwester vor, wie man Fahrrad fährt. K wiederholt dabei jede wichtige Bewegung und versucht diese seiner Schwester verständlich zu erklären. Nachdem die Schwester ihn mehrfach beobachtet hat, schafft sie es auch. Die Differenz zwischen eigenem und beobachteten Verhalten ist zwar sehr groß, dennoch ist es der kleinen Schwester nach mehrfacher Beobachtung der einzelnen Handgriffe möglich, das Verhalten nachzuahmen.

 

Fallen Ihnen Verhaltensweisen oder Fähigkeiten ein, die Sie selbst durch das Lernen am Modell erworben haben?

  Denkanstöße / Praxisbeispiele
 Ein Meister packt kräftig in der Werkstatt zu und ist sehr fleißig. Seine Auszubildenden eifern ihm nach, da er gute Arbeit bei ihnen anerkennt. Er wirkt als Modell, weil er beliebt ist, als Meister eine gewisse Macht hat und das Übernehmen des Verhaltens "fleißig arbeiten" verstärkt. 
Wenn der Meister jedoch von der Geschäftsleitung ständig kritisiert würde, würden sich die Jugendlichen ihn nicht ohne weiteres zum Modell nehmen, da er selbst dann für sein Verhalten nicht verstärkt werden würde.
Die Hausfrau füllt die Gläser mit Orangensaft aus einer Karaffe. Ihr kleiner Sohn schaut ihr dabei zu und versucht am nächsten Tag selbst die Gläser zu füllen...
S. erlebt es fast täglich mit, wie sein älterer Bruder J. Mitschüler durch Brutalität einschüchtert. Offensichtlich respektieren die Mitschüler J. dafür (sei es nur aus Angst). Da auch S. respektiert werden möchte und in der Schulcafeteria nicht lange anstehen möchte, versucht er das Verhalten seines Bruders nachzuahmen. 
Ein Vater zeigt seiner Tochter, wir sie ein Raumschiff malen kann. Sie versucht das Beobachtete sofort zu Papier zu bringen.
Dem Kind I. wird erklärt und gezeigt, wie es mit Messer und Gabel umgehen kann: "... und dann nimmst Du die Gabel so in die Hand und führst sie zum Mund. Sieh mal, wie ich das mache!"

 

 

Zitate zum Modelllernen:
"Albert Bandura bezweifelte, daß man dem menschlichen Anpassungsverhalten gerecht werden kann, wenn man das Beobachtungslernen außer acht läßt." Mietzel (1998 b, 193)

"Am häufigsten sollen durch Modellernen neue Fertigkeiten erworben werden. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Demonstration von neuen akademischen und sozialen Fertigkeiten durch Lehrer von Studenten. Modellernen wird auch bei Patienten eingesetzt, die einen Mangel an sozialen Fertigkeiten haben und die neues Sozialverhalten lernen sollen." Linden & Hautzinger (1996, 234)

"Für die sozial-kognitive Lerntheorie finden Veränderungen im Erleben und Verhalten statt, wenn Menschen Modelle beobachten. Der Lernprozeß gliedert sich dabei in die Aneignungsphase und die Ausführungsphase." Hobmair (1996, 176)

Lt. Lefrancois (1994, 193) ist die Theorie des Albert Bandura eine "[...] interessante Mischung aus Behaviorismus und Kognitivismus [...]". Bzw. kann die Theorie "[...] als Versuch gewertet werden, behavioristische und kognitivistische Positionen zu integrieren." Lefrancois (1994, 196)

"Das Lernen von Verhaltensweisen, die sozial anerkannt sind (wie auch solche, die nicht anerkannt sind), definiert soziales Lernen." Lefrancois (1994, 193)

"Soziales Lernen können wir definieren als Verhaltensweisen, die wir von anderen Menschen lernen, um uns mit den Menschen unserer Umwelt besser zu verstehen und um Verhaltensweisen an den Tag zu legen, die unsere soziale Umwelt akzeptabel findet." Angermeier (1978, 19 f)

 

Merkmale des Modelllernens

Bedingungen des Modelllernens 
- der Lernende muss eine gefühlsmäßige Beziehung zum Modell haben bzw. es anerkennen;
- das Modell muss in irgendeiner Hinsicht wichtig sein, Ansehen und Macht und/oder einen hohen sozialen Status besitzen (Z.B. Eltern, Lehrer, Chef, ...);
- das Verhalten muss erreichbar und nachvollziehbar sein;
- das Modellverhalten muss Erfolg erbracht haben und verstärkt worden sein;
- der Lernende muss für das Zeigen der übernommenen Verhaltensweisen verstärkt werden.
Vgl. Schmitt (1999, 16)

"A prestigious or attractive model may induce a person to try a given course of action, but if the behavior should prove unsatisfactory, it will be discarded and the model's future influence diminished." Bandura (1971, S. 55)

Das Modell sollte eine bedeutungsvolle Person sein, um einen möglichst wertvollen Verstärker darzustellen. Je bedeutungsvoller eine Personen (z.B. Vorgesetzter, Freund, Ehepartner), desto höher ist der Verstärkerwert.
"[...] models who are high in prestige, power, intelligence, and competence are emulated to a considerably greater degree than models of subordinate standing." Bandura (1971, S. 54)

"Bandura (1976) gliedert den Vorgang des Modell-Lernens in zwei Abschnitte, die jeweils noch einmal untergliedert sind:
- Die Aneignungsphase (Akquisition)
  1. Aufmerksamkeitsprozesse und
  2. Gedächtnisprozesse
- Die Ausführungsphase (Performanz)
  3. motorische Reproduktionsprozesse und
  4. Verstärkungs- und Motivationsprozesse." Edelmann (1996, 286)

Nach Langfeldt (1996, 108) sind drei unterschiedliche Effekte identifizierbar:
1. der Neuerwerb von Verhaltensweisen,
2. die Hemmung oder Enthemmung von bereits gelerntem Verhalten und 
3. eine auslösende Wirkung für ein bereits erlerntes Verhalten.

"Das beobachtete Verhalten eines Modells wird dann den stärksten Einfluß haben,
- wenn beobachtet wird, daß das Modell verstärkt wird,
- wenn das Modell als positiv wahrgenommen wird, d. h. wenn es beliebt ist und respektiert wird,
- wenn der Beobachter Ähnlichkeiten zwischen sich und dem Modell wahrnimmt,
- wenn verstärkt wird, daß der Beobachter dem Modell Aufmerksamkeit schenkt,
- wenn das Verhaltens des Modells sichtbar und auffällig ist - d. h. wenn es sich klar vor dem Hintergrund konkurrierender Modelle abhebt, und 
- wenn die vorhandene Kompetenz des Beobachters ausreicht, um das Verhalten nachzuahmen." Zimbardo & Gerrig (1999, 233)

"Laut Bandura müssen vier Voraussetzungen erfüllt werden, um ein Modell erfolgreich nachzuahmen:
(1) Aufmerksamkeit: ein Modell kann nicht imitiert werden, wenn es nicht beobachtet wird
(2) Retention und Speicherung: das wahrgenommene Verhalten muß behalten werden, um auch später und bei Abwesenheit des Modells ausgeführt werden zu können
(3) Motorische Reproduktion: um ein Verhalten gut reproduzieren zu können, muß die Person über die dazu benötigten motorischen Fähigkeiten verfügen
(4) Bekräftigung und Motivation: die Person muß das wahrgenommene Verhalten als Bekräftigung erfahren und motiviert sein, dem Modell zu folgen" Mönks & Knoers (1996, 97)

Erwerb von aggressivem Verhalten
Bandura unternahm einen Versuch, um zu belegen, dass auch aggressives Verhalten durch Modelllernen entstehen kann:
"Die klassische Demonstration des Beobachtungslernen stammt aus dem Labor von Albert Bandura. Kinder, die beobachteten, wie erwachsene Modelle eine große Plastikpuppe boxten, schlugen und traten, zeigten im weiteren Verlauf des Experiments häufiger derartige Verhaltensweisen als Kinder aus Kontrollgruppen, die die aggressiven Modelle nicht beobachtet hatten (Bandura et al. 1963 [...]). Nachfolgeuntersuchungen erbrachten, daß Kinder aggressive Verhaltensweisen schon dann nachahmten, wenn sie die Modelle lediglich im Film gesehen hatten oder wenn die Modelle sogar nur Zeichentrickfiguren gewesen waren." Zimbardo & Gerrig (1999, 233)
"Er [Bandura] gelangte zu der Überzeugung, daß die Eltern dieser Kinder häufig ein Vorbild für aggressive Verhaltenweisen darstellen." Mietzel (1998 b, 197)
[Zu: Aggression] "Seit langem kursiert  zudem die Theorie, dass ein Mensch umso aggressiver werde, je mehr Kontakt er mit anderen aggressiven Personen habe. Jeder lerne anhand von Vorbildern, welche Reaktion in bestimmten Situationen angemessen ist (Lernen am Modell)." Meyers Lexikonverlag (2000, 248)"

Modelllernen und Verhaltensänderung
Um Verhalten und Fähigkeiten eines Lernenden zu beeinflussen, kann ein Modellverhalten zielgerichtet eingesetzt werden. Das Ziel beinhaltet den Erwerb von angepassten Verhaltenweisen bzw. die Unterdrückung unerwünschter Verhaltensweisen. Man stellt also absichtlich ein Vorbild dar. 
Beispiel Lernen am Vorbild:
C. hat Angst vor der Dunkelheit. Diese Angst soll verlernt werden, indem C. Modelle beobachtet, die in der Dunkelheit (derselben Situation) keine Angst haben.

"Die Beobachtung eines Experten bei der Problemlösung soll bewirken, daß die Lernenden ein Modell des Lösungsprozesses entwerfen und sodann selbst benutzen, um ähnliche Probleme zu lösen." Dörr & Jüngst (1998, 92)

"Das Grundprinzip dieser Verfahren besteht darin, daß der Therapeut den Klienten angemessenes Verhalten vorführt und diese dann durch Nachahmung und Üben die Fähigkeit erlernen, dieses Verhalten im eigenen Leben auszuführen. In manchen Fällen fungieren die Therapeuten als Vorbilder für neue emotionale Reaktionen. Beispiele beschäftigen sie sich ruhig und gelassen mit Schlangen, um Klienten mit Schlangenphobie zu zeigen, daß es möglich ist, in Anwesenheit dieser Tiere entspannt zu bleiben (Bandura 1977, 1971)." Comer (1995, 165)

In der Werbung spielt das Modelllernen ebenfalls eine große Rolle: Eine Person macht im Werbespot etwas vor und erreicht damit das gewünschte Ziel. Wir (als Konsumenten) sollen dieses Verhalten nachahmen - natürlich mit den entsprechenden Produkten, die für die Nachahmung erforderlich werden.

Aggressionstheorien