I. P. Pawlow, ein russischer Physiologe, entdeckte 1918 bei seinen Untersuchungen
zu den Verdauungsprozessen von Hunden durch Zufall die Zusammenhänge der
klassischen Konditionierung.
Er stellte fest, dass die Hunde verstärkt speichelten, wenn seine Assistenten
den Tieren Futter brachten. Die Tiere speichelten jedoch bereits dann, wenn sie
den Assistenten bzw. das Futter noch gar nicht sehen konnten: Um die Reaktion
auszulösen, genügte es den Tieren anscheinend, den Assistenten zu hören.
"Tatsächlich konnte jeder Reiz, den der Hund als der Fütterung regelmäßig vorausgehend wahrnehmen konnte, die gleiche Reaktion auslösen wie das Futter selbst." Zimbardo (1992, 230)
Pawlow ging diesem Phänomen nach und untersuchte es ausgiebig - an Hunden.
Es blieb dem zweiten bedeutsamen Vertreter der klassischen Konditionierung, J.
B. Watson, überlassen, diese Theorie am Menschen auszuprobieren.
Die nebenstehende Abbildung zeigt seine Versuchsapparatur, die die
Speichelmenge des Hundes auf verschiedene Reize misst: |
Bildquelle: Lefrancois (1994, 18) |
Wenn Sie etwas schmackhaftes zu Essen vor sich stehen haben, beginnt in Ihrem Mund i.d.R. eine erhöhte Speichelproduktion. Da Reiz (Nahrung) und Reaktion (Speichelfluss) des Verdauungssystems von nichts anderem abhängen, also als automatisch, angeboren, vorprogrammiert oder als Anlage bezeichnet werden können, nannte Pawlow diese Reaktion unbedingten Reflex (unbedingt = nicht erfahrungsbedingt). In Amerika wurde der russische Begriff als unconditional reflex (unkonditionierter Reflex, UCR) übernommen.
Die Theorie von Pawlow ist eine S-R-Theorie, die Verhaltenserklärungen auf das Zusammenspiel von Stimuli und darauf einsetzenden Reaktionen reduziert.
Pawlow nahm einen neutralen Gegenstand, und indem er ihn mit einem bedeutungsvollen Gegenstand in Verbindung brachte. Der zuvor neutrale Reiz wurde zu einem Symbol für etwas anderes.
Bevor wir zu Pawlows bekannten Versuch kommen, hier notwendige
Begrifflichkeiten:
(Stimulus und Reiz sind in diesem Kontext identisch!)
Ein neutraler
Stimulus (NS) ist ein Reiz, der keine spezifische Reaktion auslöst.
Ein
unkonditionierter Stimulus (UCS für unconditioned stimuli) ist ein Reiz, der
ohne Konditionierung, also ohne Lernen eine Reaktion / einen Reflex auslöst.
Ein UCS löst eine natürliche (angeborene) Reaktion aus - deshalb unkonditioniert.
Beispiel: Das vor Ihnen stehende Leibgericht (= UCS) löst ohne vorheriges
Lernen Speichelfluss aus.
Ein Schlag auf das Knie (= UCS) löst die natürliche Reaktion der
Muskelkontraktion aus.
Ein
unkonditionierte Reaktion / ein unkonditionierter Reflex (UCR für unconditioned
reaction / reflex) ist eine angeborene
Reaktion / Reflex auf einen unkonditionierten Stimulus.
[Handelt es sich bei dem Reiz um einen reflexauslösenden Reiz, so ist das
Ergebnis ein Reflex (z.B. UCR = conditioned reflex = konditionierter Reflex).
Handelt es sich nicht um einen reflexauslösenden Reiz, so ist das Ergebnis eine
Reaktion (z.B. UCR = conditioned reaction). Das 'R' kann demnach für Reflex und
Reaktion stehen - je nach auslösendem Reiz. ]
Beispiel: Das vor Ihnen stehende Liebgericht löst ohne vorheriges Lernen
Speichelfluss (UCR) aus.
Ein Schlag auf das Knie löst die natürliche Reaktion der Muskelkontraktion (UCR)
aus.
Ein
konditionierter Stimulus (CS für conditioned stimuli) ist ein Reiz, der durch
Lernen entstanden ist und eine konditionierte Reaktion / einen konditionierten
Reflex auslöst. Da der Stimulus nicht mehr natürlich ist (sondern erlernt =
konditioniert). Das Tier hat mit diesem Stimulus nun eine Erwartung verknüpft.
Eine
konditionierte Reaktion / ein konditionierter Reflex (CR für conditioned
reaction / reflex) ist eine Reaktion / Reflex auf einen konditionierten Stimulus
(CS).
Pawlows
Theorie der klassischen Konditionierung
In seinem bekanntesten Versuch paart Pawlow die Futtergabe mit einem zweiten
(neutralen) Reiz, einem Glockenton. Kurz vor jeder Futtergabe wird einem Hund
ein Glockenton dargeboten, was nach einigen Wiederholungen dazu führt, dass der
Glockenton alleine genügt, um die Speichelproduktion des Tieres anzuregen. Der
Hund hat den Glockenton mit dem Futter assoziiert.
Neben der folgenden Darstellung können Sie eine
interaktive Simulation starten.
1. NS » keine (spezifische) Reaktion | ||
|
2. UCS » UCR | ||
|
3. UCS + NS » UCR | ||
|
4. Nach wiederholter Darbietung wird aus UCS + NS
» CS und aus der UCR » CR kurz: CS » CR |
||
|
CS (konditionierter Stimulus): Der bedingte (= erfahrungsbedingte) Auslöser (CS; Glocke) ist ursprünglich ein neutraler Reiz (NS; Glocke), der aufgrund der mehrmaligen Kopplung mit einem unkonditionierten Stimulus (UCS; Futter) eine gelernte oder bedingte Reaktion bewirkt.
CR (konditionierte Reaktion / konditionierter Reflex): Die bedingte Reaktion /
der bedingte Reflex (Speichelabsonderung) ist eine erlernte Reaktion.
Durch die wiederholte Darbietung von Glockenton (NS) und Futter (UCS) beginnt
der Hund mit der Speichelabsonderung (CR), wenn er allein die Glocke (CS) hört.
Simulation zur klassischen Konditionierung
Fällt Ihnen eine Reaktion ein, die Sie selbst aufgrund klassischer Konditionierung erlernt haben?
Denkanstöße / Praxisbeispiele:
![]() ![]() ![]() ![]() Bildquelle: http://www.tv-koechin.de/gloss_z.htm ![]() ![]() ![]() |
Zitate zur klassischen Konditionierung:
"Das Verfahren des Klassischen Konditionierens besteht aus der Koppelung eines zuvor neutralen Stimulus mit einem unkonditionierten Stimulus, der bereits die zu konditionierende Reaktion auslöst." Krech & Crutchfield (1992, Band 3, S. 26) "Als klassisches Konditionieren bezeichnet man den Prozess der wiederholten Koppelung eines neutralen Reizes mit einem unbedingten [nicht neutralen] Reiz. Dabei wird der ursprünglich neutrale Reiz zu einem bedingten Reiz, der eine bedingte Reaktion auslöst." Hobmair (1996, 138) "Ein besonders schlagendes Beispiel zeigt die immer wieder gern erzählte Geschichte von dem jungen Mann, der im Angesicht eines munter spielenden Blasorchesters genüßlich solange eine Zitrone aussaugte, bis den Instrumentalisten nur noch gluckernde und schmatzende Geräusche entwichen. Der Anblick der Zitrone (conditioned stimulus = CS) führt nun ebenfalls zu einer Speichelabgabe (conditioned reaction = CR), die nicht durch direkte reflexhafte Einwirkung, sondern durch Erfahrung vermittelt erfolgt." Angermeier (1991, 47) "Beim klassischen Konditionieren löst ein neutraler Reiz, wenn er einmal oder mehrmals mit einem biologisch signifikanten Reiz gepaart wird, eine Verhaltensreaktion in Abwesenheit des biologisch relevanten Reizes aus." Zimbardo (1992, 231) |
Merkmale
der klassischen Konditionierung
Kontiguität
Um zwei Reize miteinander verknüpfen zu können, müssen sie auch miteinander
in Verbindung gebracht werden. Hierzu ist es notwendig, dass beide Reize (UCS
und NS) zeitlich dicht beieinander liegen.
Räumlich (im Zusammenhang) und zeitlich (kurz nacheinander) müssen der neutrale und der unbedingte Reiz mehrmals wiederholt auftreten (Gesetz der Kontinuität), um eine konditionierte Reaktion auszulösen.
"Beim klassischen Konditionieren ist die Kontiguität, die zeitliche Nähe zwischen dem unkonditionierten und dem konditionierten Reiz, von entscheidender Bedeutung. Nur wenn sie zeitlich benachbart sind, kann der Organismus diejenige Assoziation zwischen ihnen herstellen, die die Grundlage des Lernprozesses bildet." Zimbardo & Gerrig (1999, 211)
"Im übrigen hat sich gezeigt, daß die Zeitabstände variabel sind und
im Einzelfall außerordentlich stark schwanken können. Sie reichen von 0,5 s
(Lidschlagreflex) über ein paar Sekunden (Herzschlagfrequenz) zu vielen Stunden
(erworbene Geschmacksaversion). [...]
Gibt man Ratten Saccharinwasser zu trinken (CS) und 30 min später eine
Lithiumchloridinjektion (US), die Übelkeit erzeugt, so werden die Tiere das
vorher hoch bevorzugte süße Wasser vermeiden (Kalat und Rozin 1971)." Angermeier
(1991, 48)
"Ein neutraler Reiz wird niemals zu einem konditionierten Reiz, wenn er
zeitlich nach dem unkonditionierten Reiz auftritt; auch eine Signalanlage, die
erst nach der Vorbeifahrt des Zuges blinkt, wäre nutzlos." Mietzel
(1998 b, 165)
Verstärkung
(engl.: 'reinforcememt')
Die Koppelung von unkonditioniertem Stimulus (UCS) und neutralem Stimulus (NS)
wird als Verstärkung bezeichnet. Je häufiger diese Verstärkung auftritt,
desto sicherer und stabiler ist die Bildung einer Assoziation zwischen den
beiden Reizen.
Durch mehrmaliges Auftreten der Koppelung von NS und UCS, wird die konditionierte Reaktion / der konditionierte Reflex (CR) verstärkt.
"Bei jeder [...] mehrfachen und zeitlichen gestaffelten Koppelung wird im Rahmen der Theorie der Klassischen Konditionierung von Bekräftigung gesprochen." Krech & Crutchfield (1992, Band 3, S. 18)
Signallernen
Die klassische Konditionierung wird auch als Signallernen bezeichnet (in Pawlows Versuch
stellt die Glocke das Signal dar). Der neutrale Stimulus stellt das Signal dar,
welches erlernt wurde. Signallernen impliziert das Erlernen von Signalen.
Beispiel Signallernen:
Nimmt 'Freiheit und Abenteuer' für eine Person einen großen Stellenwert ein, so wird diese Person besonders empfänglich für Zigarettenwerbung sein. Zigarettenwerbungen verknüpfen Rauchen oftmals mit schönen Landschaften und dem Gefühl von 'Freiheit und Abenteuer‘.
Das Signal ist der ehemals neutrale Stimulus (also der Reiz, der keine
spezifische Reaktion auslöst) - in diesem Beispiel die Zigarette. Durch die
Werbung wird die Zigarette mit Freiheit und Abenteuer verknüpft. Im Endeffekt
soll der Anblick / das Rauchen einer Zigarette als Signal dienen, um
dieses Gefühl auszulösen.
Reizgeneralisierung
Unter Reizgeneralisierung versteht man die Ausdehnung der gelernten Assoziation auf neue,
ähnliche Reize.
Nach einer erfolgreichen Konditionierung reagiert der Pawlow'sche Hund auf den
Glockenton mit erhöhter Speichelproduktion. Wenn der Glockenton nun einen
helleren Klang hat, und der Hund dennoch in gleicher Weise reagiert, wurde der
Reiz generalisiert.
Ein ähnlicher Reiz löst also die gleiche Reaktion aus.
Die Reizgeneralisierung wurde von Pawlow während seiner Experimente entdeckt: Die Versuchshunde reagierten nicht nur auf den konditionierten Glockenton, sondern auch auf veränderte (höhere und tiefere) Töne.
Beispiele für Reizgeneralisierung:
Ein Kind hat durch Konditionierung gelernt, vor einem bestimmten Lehrer Angst zu haben. Diese Angst vor einem Lehrer wird von dem Kind auf alle Lehrer der Schule übertragen; der Reiz wurde generalisiert.
Auf einer Party lernen Sie eine Person kennen, die Ihnen besonders sympathisch erscheint, obwohl Sie diese Person noch niemals zuvor gesehen haben. Denkbar ist auch eine Melodie, die bei Ihnen angenehme Emotionen erweckt, obwohl Sie das Lied noch nie gehört haben, da es neu ist.
In den genannten Fällen handelt es sich um eine Reizgeneralisierung, wenn in Ihrer Vorgeschichte eine ähnliche Person oder ein ähnliches Lied mit einem angenehmen Stimulus verknüpft wurde.
Reizdifferenzierung /
Reizdiskrimination / Diskriminationslernen
Im täglichen Leben sind Sie permanent unterschiedlichen Umweltreizen ausgesetzt. Viele dieser Reize sind sich sehr ähnlich, haben aber eine völlig unterschiedliche
erlernte Bedeutung. Im Gegenteil zur Reizgeneralisierung bedeutet die
Differenzierung (oder Diskrimination), dass zwei ähnliche Reize verschiedene
Reaktionen auslösen.
Der Pawlow'sche Hund erhält bei einem Glockenton sein Futter. Wird der Glockenton leicht verändert, erhält das Tier kein Futter. Ziel ist es, das Tier nur auf einen bestimmten Glockenton zu konditionieren. Den veränderten Glockenton beachtet der Hund nicht als CS sondern als NS - er hat den Reiz differenziert bzw. diskriminiert.
"Von Reizdifferenzierung spricht man, wenn ein Organismus zwischen dem bedingten Reiz und einem ihm ähnlichen Reiz unterscheiden kann und nur auf den bedingten Reiz eine bestimmte Reaktion zeigt." Hobmair (1996, 139)
"Pawlow (1953) beschrieb, wie diese Art von Diskrimination (Unterscheidung) in seinem Labor studiert wurde, indem man den Speichelfluß zu einem leuchtenden Kreis konditionierte, auf den immer Nahrung folgte. Nachdem eine starke CR hergestellt worden war, wurde eine Ellipse in einer Zufallssequenz von Versuchen zusammen mit dem Kreis gezeigt. Auf die Ellipse folgte niemals Nahrung. Anfangs speichelte der Hund auch beim Anblick der Ellipse (Stimulusgeneralisation). Nach weiterem Training wurde jedoch die Reaktion auf die Ellipse gelöscht: Der Hund hatte gelernt, zwischen dem Kreis und der Ellipse zu unterscheiden (d. h. unterschiedlich auf diese zu reagieren)." Krech & Crutchfield (1992, Band 3, S. 22)
Beispiele für Reizdifferenzierung:
Ein Kind hat durch Konditionierung gelernt, vor einem bestimmten Lehrer Angst zu haben. Die Angst wird jedoch nicht auf andere Lehrer übertragen. Das Kind kann zwischen den verschiedenen Lehrern unterscheiden.
Sie beachten ein Blaulicht samt Martinshorn, wenn es Ihnen im Verkehr begegnet,
nicht jedoch, wenn es an Ihrer Wohnung vorbeifährt.
Differenzierung von gefährlichen und ungefährlichen Tieren.
Differenzierung zwischen dem Bohrer des Zahnarztes und dem Heimwerkerbohrer.
Habituation /
Gewöhnung
Unter Habituation versteht man die Gewöhnung an einen Reiz. Wenn ein Reiz zu
oft oder zu regelmäßig dargeboten wird, kommt es zu einer Gewöhnung an diesen
Reiz. Der Reiz wird ausgeblendet und weniger bzw. gar nicht mehr
beachtet. Als Resultat auf diese Gewöhnung verringert sich die Bereitschaft auf einen habituierten Reiz zu reagieren.
"Zum Glück tritt beim Orientierungsreflex mit Wiederholung des neuen Reizes ein Gewöhnungseffekt ein (das heißt, der Reflex wird schwächer). So passen wir uns an einen dauernden hohen Lärmpegel an, bis wir ihn schließlich ganz überhören." Krech & Crutchfield (1992, Band 3, S. 13)
Beispiele für Habituation:
Die Geräusche der Fahrzeuge, die vor Ihrem Fenster vorbeifahren, werden
nicht mehr wahrgenommen.
Der Rauch Ihres Arbeitskollegen im Büro ist für Sie so alltäglich geworden,
dass Sie es nicht mehr wahrnehmen, wenn er sich eine Zigarette anzündet.
Konditionieren zweiter Ordnung
/ höherer Ordnung
Eine Konditionierung erfolgt nicht über eine natürliche Reiz-Reaktion (z.B.
Futter Speichelfluss), sondern über einen konditionierten Reiz.
Bei der klassischen Konditionierung wird ein neutraler Stimulus (NS) mit einem
unkonditionierten Reiz (UCS) gepaart:
NS + UCS
UCR
Nach wiederholter Darbietung:
CS
CR
Bei der Konditionierung zweiter / höherer Ordnung wird der UCS durch einen
CS ersetzt:
NS + CS
UCR
Nach wiederholter Darbietung:
CS CR
Ein NS wird zum konditionierten Stimulus, indem der NS mit einem zuvor konditionierten Stimulus gepaart wird.
Nach dem Pawlow'schen Versuch reagiert ein Hund auf einen Glockenton (CS) mit der Absonderung von Speichel (CR). Bei der Konditionierung zweiter / höherer Ordnung wird der Glockenton (CS) nun mit einem anderen neutralen Stimulus (NS) gepaart, um eine weitere Reaktion zu schaffen. Z.B. lassen wir jedesmal einen Teller fallen, wenn die Glocke ertönt.
NS (Teller fällt) + CS (Glockenton)
UCR (Speichelproduktion)
nach wiederholter Darbietung:
CS (Teller fällt)
CR (Speichelproduktion)
Die Konditionierung zweiter / höherer Ordnung beinhaltet den Vorteil, dass man bei der Konditionierung nicht mehr ausschließlich auf biologisch relevante Reize angewiesen ist.
Verhaltensweisen werden "durch ein unbegrenztes Repertoire von Reizen kontrollierbar, sobald sie einmal mit anderen Reizereignissen, deren Wirksamkeit entweder naturgegeben oder lernbedingt ist, assoziiert worden sind." Zimbardo & Gerrig (1999, 214)